Donnerstag, 2. Dezember 2010

Gleichgewichtssinn.

Nun bin ich nur einmal auf der Welt, es ist mir nicht möglich mein Leben zu wiederholen. Welchen Grund sollte es also geben, meine Zeit, meine Gedanken, meine Fähigkeiten dafür zu verschwenden, dass zu lernen oder zu begreifen, was gerade der Zeitgeist ist, was die Gesellschaft bestimmt? Wenn das vorherrschende Wirtschaftssystem gerade der Kapitalismus ist, gebe ich meine besten Jahre, meinen Erkenntnisdrang, meine Neugier dafür, die Strukturen dieses Systems zu begreifen, dessen Gesetzmäßigkeiten zu verinnerlichen. Natürlich, denn ich strebe nach Wohlstand, nach Anerkennung und nach Status. Ich will nicht bestreiten, dass es Studenten gibt, welche sich für derartige Dinge interessieren. Diese sollten ganz sicher das nötige Wissen erwerben, denn sie haben den nötigen Enthusiasmus, mit dem sie die Entscheidungsträger der Gesellschaft werden sollten. Den nötigen Weitblick setze ich bei solchem Intellekt voraus. Andererseits will ich annehmen, dass es nicht wenige Studenten gibt, welche mit Naturwissenschaften nichts am Hut haben und die Geisteswissenschaften verachten und sich deshalb für das Wirtschaftsstudium entschieden haben, weil sie es für das kleinere Übel hielten. Sowie sie sich von ihm den höchsten Status und ein sicheres Einkommen versprachen. Sollen solche Menschen, denen ich noch nicht einmal unterstellen möchte, dass sie halbherzig bei der Sache sind, schließlich sind sie auf der Jagd nach Credit Points, wirklich diejenigen sein, welche die Geschicke unseres Landes bestimmen? Nicht besser die Techniker, die ohne den nötigen Weitblick, ohne die Folgen ihrer Konstruktionen zu überschauen, Dinge entwickeln deren Tragweite sie nicht begreifen können. Mit meiner eigenen Studienwahl kann ich mich ganz gewiss zu dieser Gruppe zählen, und auch ich werde wohl Gefahr laufen, an Geräten oder Systemen mitzuwirken, ohne deren Auswirkungen vorhersehen zu können. Auch Ingenieure befassen sich in ihren besten Jahren mit den Techniken, die gerade Mode sind, welche der Zeitgeist hervorgebracht hat. Sollte gerade die Elektromobilität ein großes Thema sein, so wird dies im Studium seinen Niederschlag finden. Der Student hat also Wissen zu vertiefen, über dessen Inhalt er nicht entscheiden kann, sollte er ein derartiges Studienziel wählen. Es zeigt sich also ein Dilemma, welches die Wirtschafts- wie auch die Ingenieurwissenschaften gleichermaßen betrifft, es wird versucht Grundlagen aktuell zu halten, diese dem Zeitgeist anzupassen. Ist es nicht bei der Ausbildung von Akademikern, welche in meinen Augen allseitig gebildet sein sollten, wesentlich sinnvoller sich mit den Begrifflichkeiten auseinander zusetzen, welche die Menschheit seit jeher betreffen: Abstraktem wie Wahrheit, Sein, Vorstellung, Bewusstsein oder Moral, um den Erkenntnisdrang zu stillen, wenn er denn überhaupt noch vorhanden ist. Sicher kann man mit dem Wissen über die Bedeutung der Wahrheit kein Haus bauen, jedoch meine ich hier diejenigen welche ein sogenanntes Brotstudium wie BWL wählen, aber nicht ganz bei der Sache sind, weil sie für derart Abstraktes Interesse zeigen. Sollten nicht Studenten ohne nötigen Weitblick und mit Abscheu vor den Geisteswissenschaften nicht lieber manuell arbeiten, bevor sie mit ihrem Drang nach Status und Anerkennung entscheidende Positionen der Wirtschaft besetzen und Einfluss auf das Leben vieler Menschen gewinnen? Dazu kommt mir ein absurdes Beispiel in den Sinn: Wäre es nicht dasselbe, wenn ein Kind mit einem Laufrad herumspielt, sei es weil es seinen Gleichgewichtssinn verbessern will, oder weil es ihm einfach nur Spaß macht, man ihm das Laufrad wegnehmen würde um es in ein Kettcar zu setzen, wobei man ihm dabei sagt: "Heutzutage fährt niemand mehr auf zwei Rädern, wozu willst du dann es lernen?" Ist es nicht dasselbe, als wenn sich ein junger Mensch für die Bedeutung des Seins interessiert, man ihn aber dazu anhalten würde, unser Wirtschaftssystem zu begreifen, weil es heutzutage unwichtig ist das Wort "Sein" zu durchdringen, sondern nur unsere Wirtschaftsordnung zu kennen. Kann es sein, dass manche Studenten ihre Studienwahl ändern, weil sie aufgrund gesellschaftlicher Akzeptanz, welche sich außerdem oft im Auskommen niederschlägt, indirekt dazu gezwungen sind? Ich rede von Akzeptanz, nicht von Anerkennung. Das ein Verächter der Geisteswissenschaften ein derartiges Studium nicht anerkennen kann, mag sein, zur Akzeptanz sollte es aber reichen. Welchem Student wird wohl mehr Akzeptanz zuteil, dem BWLer oder dem Philosophen? Nun, wenigstens sind solche Verächter leicht an Fragen wie "Was willst du damit mal machen?" oder "Wozu braucht man sowas?" zu erkennen, wobei die letzte an Niedertracht nicht zu übertreffen ist. Passend dazu ein Zitat aus Nietzsches ,Morgenröte': "Unser Zeitalter, soviel es von Ökonomie redet, ist ein Verschwender, es verschwendet das Kostbarste: den Geist.", es kann in diesem Zusammenhang übrigens nicht schaden sich mehr von diesem Buch zu Gemüte zu führen. Tja, ich kann auch nichts daran ändern, dass unsere Gesellschaft nicht vom Streben nach Erkenntnis geprägt ist, sondern vom Streben nach Geld. Ich weiß nur, das Geld seinen Wert verlieren kann, mir das Gefühl der Erkenntnis aber niemand zu nehmen vermag.

1 Kommentar:

flo hat gesagt…

mein sempf.
interessanter text exner, war das selbe thema wie mim naggn in der schmiede.
lässt sich gut lesen.
gruß