Samstag, 22. Januar 2011

Tempo-Linsen.

Cheese. "Unsere Erfindungen sind gewöhnlich hübsche Spielsachen, die unsere Aufmerksamkeit von ernsten Dingen ablenken. Sie sind nur verbesserte Mittel zu einem unverbesserten Zweck [...]" Ob Thoreau vor einhundertfünfzig Jahren schon an den knipsenden Japaner dachte? Der Durchbruch der digitalen Fotografie ist für mich einfach nur Spiegel der Gesellschaft. Nichts könnte besser in die Lebensart der Menschen passen. Die moderne Zeit: Masse, Geschwindigkeit, beides am liebsten unmittelbar. Digitale Fotografie kann dir das bieten. Sie ist schlechter, dafür wenigstens schneller. Mit ihr gibt es mehr und das sofort. Das passt wunderbar in die beschleunigte Welt. Zeit um über die eigene Lebensweise nachzudenken? Unmöglich zwischen Kaffee-zum-Gehen und dem blättern auf deinem Taschentelefon. Mäßigung? Wo wird heute noch Maß gehalten? Alles ist pauschal. Dein Mobiltelefon-Tarif, dein Internet-Anschluss, der Alkohol abends am Tresen. Wenn du vom Überfluss des Tages runter kommen willst, brauchst du natürlich auch an der Bar die Grenzenlosigkeit. Die neue Unendlichkeit. Wenn in Mathe irgendwas gegen Unendlich ging, konnte es sich keiner vorstellen. Im Alltag soll aber jeder damit umgehen können. Natürlich. Warum genügsam sein mit dem Aufnehmen von Fotos, dich zurückhalten, weil du vielleicht nur einen Film mit hast oder weil dein Konto es nicht hergibt tausend Bilder von einem Wochenende entwickeln zu lassen? Ja, warum eigentlich. Deine Festplatte ist das Loch in das du deine Erinnerungen schüttest. Fotoalbum. Meine Güte, was ist das denn? Wer hat den für so was Zeit? Klar, der moderne Mensch fährt Auto, hat eine Spülmaschine, muss Wäsche nicht mehr selber waschen und bekommt alles nach Hause geliefert. Wie soll man da mehr Zeit haben für solche Dinge? Alles nur noch einen Klick entfernt. Es kann nur Fetisch sein, unter solchen Umständen eine analoge Kamera benutzen zu wollen. Ein Klick bringt dich da nicht besonders weit. Zwischen dem Moment und dem Bild liegen das Drehen an diesem Rädchen, jenem Hebel und vor allem das Warten nach dem Wegschaffen deines Filmes. Ein beschleunigtes Leben gibt das einfach nicht her. Permanente Aktivität ist das Leitbild. Die Frage, wie die digitale Fotografie als passives Medium dazu passen soll, kann ich mir auch nicht beantworten. Sie zwingt dich nicht, dir Gedanken über die Situation zu machen, dir die Einstellungen der Kamera vorher zu überlegen. Du könntest das, auch heute noch. Aber wer macht etwas, was er könnte, wenn er nicht muss? Warum sollte sich außerdem jemand über das Motiv einer Fotografie vorher Gedanken machen, wenn man sich heute sowieso über nichts mehr Gedanken macht? Die Kamera hat eine Automatik, diese ist das Mittel der Wahl. Letztens habe ich mal wieder Dias gesehen. Viele waren es nicht von den Urlauben in den Achtzigern, dafür waren es lange Geschichten zu jedem Bild. Der Rest entsteht dann in deinem Kopf. In meinem Kopf entstand auch die Vorstellung von einem Foto-Abend in fünfzig Jahren. Von jedem Urlaub achthundert Bilder, wenn deine Festplatte nicht schon kapituliert hat. Das kann ein langer Abend werden. Wenn ihr nach einem Urlaub aussortiert, dann Hut ab. Ich mache es nicht. Wie gesagt, auch ich habe eine Spülmaschine und bewege mich mitunter motorisiert fort. Da bleibt keine Zeit, genau. Wenn du aber vor einem Stapel Fotos sitzt, die du nur analog hast, dann bist du zum Ordnen gezwungen, oder du siehst eben nicht durch. Nun. Der Zweck, der beiden Methoden letztendlich innewohnt, ist wohl die Erinnerung. Es kann natürlich auch sein, dass es noch um viel mehr geht: "Die menschliche Zeit dreht sich nicht im Kreis, sie verläuft auf einer Geraden. Das ist der Grund, warum der Mensch nicht glücklich sein kann, denn Glück ist der Wunsch nach Wiederholung." Kundera hat mal wieder das Dilemma auf den Punkt gebracht. Das einzige was wir wohl tun können, ist intensiv zu leben. Und dafür hast du wohl auf jeden Fall mehr Zeit, wenn du nicht die ganze Zeit Fotos machen willst. Ob jede Minute deiner Existenz in Bildern auf Gesichtsbuch dein Leben wirklich bereichert, das musst du selbst wissen. Der einzige unbestreitbare Vorteil einer Welt ohne digitale Fotografie wäre wohl, dass es keine Bild-Leserreporter gäbe. Der absolute Gipfel der Entbehrlichkeit. Die Bild-Zeitung gäbe es wahrscheinlich trotzdem, da ein jeder etwas braucht was er mal ordentlich gering schätzen kann. Solange es nicht das eigene Leben ist was er verachtet, indem er die Bild-Zeitung auch noch käuflich erwirbt. Ein weiteres Beispiel, dass der Mensch nicht vernunftgeleitet ist. Man könnte fast konservativ werden. Aber das Wählen der CDU würde ja nur bestätigen, das man nicht vernunftbestimmt lebt. Es ist einfach zum Heulen.

1 Kommentar:

deQueen hat gesagt…

I like it!