Mittwoch, 20. Oktober 2010

Gedanken zum Fahrradfahren.

Nein, ich will keinem Trend hinterherlaufen. Vielmehr bin ich beim umherlaufen mit dem Trend zusammengestoßen. Um welche Modeerscheinung geht es nun schon wieder? Die Rede ist vom Eingang-Fahrrad, neudeutsch Single-Speed getauft. Ein Lifestyle ist das noch lange nicht, nur eine Frage des Minimalismus finde ich. Wenn es für manche ein Lifestyle ist, von mir aus. Solange die Menschen auf dem Fahrrad sitzen, haben sie keine Zeit zum Autofahren. Das ist ein schöner Trend, das kann ruhig auch eine Massenbewegung werden. Davon habe ich sogar schon geträumt, oder mir das vorgestellt. Wie das Leben wohl in der Stadt ablaufen würde ohne den motorisierten Individualverkehr, daran muss man eigentlich zwangsläufig denken, wenn man im Berufsverkehr mit dem Fahrrad an endlosen Autokolonnen vorbeifährt. Ich will hier keine Polemik gegen das Autofahren verfassen, auch ich nutze Mitfahrgelegenheiten, weil mir die Bahn zu teuer ist. Das zum Beispiel ist aber Angelegenheit der Politiker. Im "Autofahrerland" Deutschland wird die Autoindustrie dagegen mit einer vermeintlichen Umweltprämie in Milliardenhöhe subventioniert. Oder teure Bahnhöfe gebaut, zum Beispiel in Baden-Württemberg. Das Geld fließt also einfach nur in die falsche Richtung. Ich glaube auch das es für einige Leute die sich nachmittags über die Carolabrücke quälen, die schnellste Art sein wird, nach Hause zu kommen. Für viele wird es einfach nur die Bequemste sein. Vielleicht sind sie ja auch auf dem Weg ins Fitnessstudio. Dort sind sie bestimmt schon genug Fahrrad gefahren, ohne von der Stelle zu kommen. Genau wie Gedanken solcher Menschen. Die kommen anscheinend auch nicht von der Stelle. Es geht mir hier sicher nicht um das Umweltschonen. Ich bin kein Ökoaktivist. Die Lebensart der Moderne finde ich einfach pervers. Fahrradfahren ist für mich viel mehr als zu faul zu sein sich einen Parkplatz zu suchen, sich bewegen, sich dem Wetter aussetzen und sich damit der in der westlichen Welt fortschreitenden Entfremdung zu entziehen. Es ist ein Statement gegen die Beschleunigung des Alltags auf allen Ebenen. Sicher, es wird dem überzeugten Fußgänger immer noch zu schnell sein. Wer seinen Tagesablauf zu Fuß auf die Reihe bekommt verdient echten Respekt. Aber solange die gebildete Schicht nicht einmal daran denkt, habe ich keine besonders große Hoffnung. Ich spiele hier auf die Masse der Studenten an, die früh immer vor dem Hauptbahnhof zu besten Zeit eine viertel Stunde auf den Bus warten um zwei Stationen zur Uni zu fahren, anstatt fünfzehn Minuten zu Fuß zu gehen. Obwohl der Vorteil nicht von der Hand zu weisen ist: Im Bus kann man nochmal in Ruhe die anstehende Vorlesung durchgehen, während man von fünfzig Leute gegen die Scheibe gepresst wird. Das wird's sein. Erlebnis Presswurst. Überhaupt muss der Mensch in der westlichen Welt natürlich schnell durch den Tag kommen, damit er abends vier Stunden fernsehen kann. Bei dem was das Fernsehen heutzutage bietet, verständlich. Jede Minute zählt. Der moderne Mensch will unabhängig sein. Hauptsache nicht im Kopf. Er steigt früh alleine in seinen geliebten kreditfinanzierten Haufen Blech, um sich selbstbestimmt fortzubewegen. Wie gut das funktioniert, sieht man am Stadtverkehr. Die Freiheit des Blechtreibers beschränkt sich darauf, abbiegen zu können wo er will. Wann er das kann, hängt davon ab wie schnell vor und hinter ihm gefahren wird. Für dieses Unabhängigkeitsgefühl braucht er natürlich ein besonders großes Auto, und es muss das eigene sein. Aber warum unterstelle ich dem Pöbel auch ein Motiv wie Selbstbestimmtheit oder Unabhängigkeit? Status ist alles. ,Fahrrad gefahren bin ich, als ich mir soviel teuren Schrott noch nicht leisten konnte.' Pervers, wie gesagt. Das Auto als Fetisch. Eine ganze Industrie hängt davon ab, der kann Frau Merkel natürlich ein kleines Taschengeld nicht verwehren. Physikern ist die Frau? Bestimmt. Dann wird sie auch wissen, ob es effektiver ist, zum Transport einer Person anderthalb Tonnen Schrott zu benutzen, oder ein Fahrrad, was vielleicht fünfzehn Kilo wiegt. Aber das Öl muss ja alle werden, wenn unsere Soldaten schon dafür im Nahen Osten Munition verblasen. Deutschland muss ja Europameister im Waffenexport bleiben. Der Aufschwung braucht Kriege. Warum begibt sich Otto-Normalverbraucher nicht gleich mit dem Panzer auf Arbeit? Ganz so eng muss man's damit beim Einparken ja nicht sehen & das Feinstaub-Problem sind wir damit auch gleich los. Ein Panzer hat schließlich keine Reifen. Und der Straßenbau bekommt auch wieder Konjunktur. Die westliche Welt braucht sowieso neue Verkehrskonzepte, schon jetzt leben fünfundsiebzig Prozent der Menschen dort in Städten. Ein Gerät wie ein Fahrrad bringt die Wirtschaft nicht voran. Es ist nicht zu verbessern. Es ist fertig. Wie ein Stuhl, oder eine Gabel. Man kann das etwas anders aussehen lassen, aber man kann nicht soviel schöne Elektrik reinstecken, wie in ein Auto. Da wird auch der Fachkräftemangel gelöst, wenn das keiner mehr entwickeln muss. ,Keep it simple and stupid', nichts entspricht dem besser als ein Fahrrad. Noch besser trifft das auf das Eingangrad zu. Echter Purismus, vielmehr Minimalismus. Die meisten sind dazu wohl nur in ihrer Gedankenwelt fähig.